Sonntag, 24. August 2014

Die etwas aufwändigere Polizei-Registrierung und Besuch des Childline-Office

Eine Woche später machen wir uns dann auf ins 40 km (Luftlinie!) entfernte Painavu. Dort ist der Verwaltungssitz des Idukki Districts. Für diese Strecke brauchen wir circa 2,5 Stunden mit dem Bus und Taxi-Jeep. Auf den Straßen bewegt man sich oft auf Serpentinen von Tal zu Tal. Es ist eine äußerst spektakuläre Landschaft. Zum einen gibt es riesige Steilhänge, einen großen Bergsee, aber auch den tiefen Dschungel, wie man ihn sich in unseren Breiten vorstellt. Es ist eines der wenigen Bilder, die bei unserem Aufenthalt in Indien bisher „bestätigt“ wurden. In Painavu angekommen betreten wir ein auf einem Hügel gelegenes Areal aus Verwaltungsgebäuden und einem großen Krankenhaus.

Nachdem wir uns in eines der Gebäude begeben, um einen langen Korridor entlang zu schreiten, biegen wir in eines der Büros ab. Wir überreichen dem Verantwortlichen unsere Unterlagen, woraufhin er diese sorgfältig überprüft. Einen Fehler findet er: Als Grund für unseren Aufenthalt haben wir „Studies“ angegeben, was von ihm bemängelt wird, da unser Visum als „Employment-Visum“ ausgestellt ist. Zum Glück ließ er es uns vor Ort lösen: Wir konnten den Fehler einfach mit einem Stift verbessern. Schließlich tackert er unsere Unterlagen zusammen und schickt uns in ein benachbartes Gebäude, ein Polizeigebäude. Dort ist ein mit einem Gewehr ausgerüsteter Beamter postiert. Es beginnt eine lange Wartezeit.

Der Polizeichef, der sich persönlich um die Police Registration aller Ausländer im Idukki Distrikt, welche länger als sechs Monate bleiben, kümmert, sei in einem Meeting und würde uns in einer halben Stunde zur Verfügung stehen. Wir verbringen die Zeit damit, in einem Taschenbuch über alle indischen Premierminister zu lesen und uns mit unserem Mentor über politische Themen auszutauschen. In einem Nebenraum unterhalten sich und scherzen einige Polizeibeamte miteinander. Eine Stunde später werden wir in ein benachbartes Büro gebeten, wo sich schließlich ein anderer Beamter unserer Sache annimmt; der Polizeichef sei nicht zu gegen. Uns wird mitgeteilt, dass unsere Registrierung etwa ein bis zwei Wochen bearbeitet wird, wir den Status telefonisch abfragen werden können und dass wir unser „Certificate“ dann wieder hier abholen werden können.

Unser Mentor Joseph zusammen mit Florian vor dem Polizeigebäude in Painavu

Auf dem Rückweg steigen wir in einer Busstation aus unserem Taxi. Wir warten auf den Bus.

Plötzlich gibt es einen gewaltigen Knall hinter mir. Adrenalin strömt in meinen Körper. Ich drehe mich um und sehe einen Bus seitlich auf mich zu schlittern. Ich renne. Nach einigen Metern wage ich einen Blick über die Schultern. Der Bus ist inzwischen zum Stehen gekommen. Die Menschenmenge um mich herum ist wie ich zunächst völlig konsterniert. Ich bemerke einen an seiner Vorderseite demolierten LKW, welcher auf das hintere Ende des Buses geprallt sein muss. Dort verbogenes Metall. Frontscheibe des LKW zerstört. Wo ist der Fahrer? Dutzende Menschen verlassen in Panik den Bus. Sie strömen heraus. Ein Mann humpelt mit vom Schmerz verzogenem Gesicht. Zwei junge Frauen in Schuluniform weinen auf einer Bank und halten sich im Arm. Einige suchen nach Verletzten, auch unter dem Bus, dessen Scheiben auf ganzer Länge zerbrochen sind.

(Flo)


Bei diesem Unfall gab es zum Glück nur leicht Verletzte, was bei der Wucht, die der LKW gehabt haben muss, schon fast verwunderlich ist. Die Rückbank des Busses war nicht besetzt. Wenn Fahrgäste darauf gesessen hätten, wären diese vermutlich schwerer getroffen worden.

Am nächsten Morgen lesen wir bzw. die Malayalam-Verstehenden von eben diesem Unfall in der Zeitung. Die Bremsen des LKWs waren ausgefallen, sodass er ungebremst in den Bus hineinfuhr. Wir mutmaßen, dass sich die Bremsen bei der langen Bergabfahrt überhitzt haben. Solche Unfälle sind uns auch aus Deutschland bekannt. Für jeden von uns war es jedoch das erste Mal, dass wir einen Unfall so unmittelbar erlebt haben.

Von dem Schock erholt, geht es weiter nach Kattappana zu einem Regional-Office von VOSARD. Dort wird sich vor allem um das Childline-Projekt gekümmert. Hier kann 24 Stunden am Tag angerufen werden, wenn es z. B. Probleme bezüglich Misshandlung von Kindern gibt. Es wird aber auch Unterstützung für Straßenkinder oder Kinder, die sich aus anderen Gründen vernachlässigt fühlen, gegeben. Manchmal kommen innnehalb von kurzer Zeit viele Anrufe, zu anderen Zeiten klingelt das Telefon mehrere Stunden gar nicht. Wir bekommen einige Anrufe mit, Allerdings können wir schlecht verstehen, worum es geht, da alles auf Malayalam besprochen wird. Unterstützt werden die Kinder durch medizinische und finanzielle Hilfe. Wenn es zu Misshandlungen kommt, können die Kinder auch aus der Familie herausgeholt und in Kinderheimen untergebracht werden, erklärt man uns weiter. Nach einem obligatorischen Chai machen wir uns auf den Rückweg zum Office.
Ein VOSARD-Mitarbeiter und Manuel laufen die Treppe zum Regional-Office von VOSARD in Kattappana hoch.
Auf den Serpentinenstrecken fällt uns erneut die etwas riskante Fahrweise auf, die hier von vielen – natürlich nicht allen – praktiziert wird. Unser Bus hupt mehrere Male in jeder Kurve – als eine Art Warnung für die entgegenkommenden Fahrer, dass er beide Spuren der Straße blockiert. Die Kommunikation scheint so durchaus zu funktionieren, soweit wir es bei unseren bisherigen Fahrten erlebt haben. Nach ca. fünf Stunden Busfahrt, einer Stunde Warten im Police-Office und vielen neuen – teilweise unerwarteten – Eindrücken, kommen wir wieder beim VOSARD Office an.

Flo und Manuel

4 Kommentare:

  1. Ich habe eure spannenden Berichte gelesen. Da war unser Urlaub an der Nordsee natürlich fast langweilig. Aber wir haben die 2 Wochen Nichtstun so richtig genossen. Für eure Arbeit in VOSARD alles Gute ! Seid behütet auf den weiteren Busfahrten, die wohl die größten Gefahrenquellen sind, so kommt es mir vor !!!!
    Alles Gute, ich hab dich lieb !!!
    Mama Anne

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    1. Das freut mich sehr! Die Rückmeldung und zu wissen dass du den Blog verfolgst.
      Mach dir keine Sorgen um mich :)

      Alles Liebe und Gute zurück nach Deutschland! Ich dich auch!

      Dein Sohn Flo

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  2. München, 29.8.2014

    Danke für die vielen interessanten Beiträge. Wir sind erst jetzt, nach fast medienfreien Ferien zum ersten Mal dazu gekommen, Euren Blog zum Freiwilligen Jahr aufmerksam zu lesen.
    So viele neue Eindrücke, spannend und sicherlich aufregend, wir wünschen Euch eine gute Zeit und nicht zu scharfes Essen.

    Gestern Abend, Do 28.8. 20.15 Uhr haben wir in 3 Sat eine Sendung verfolgt, die zum Inhalt einen für uns neuen Ansatz in der Bewertung von internationalen Hilfsmaßnahme hatte. Versuchslabor Armut Reportage. Eine neue Generation von Entwicklungshelfern untersucht mit wissenschaftliche Methoden die tatsächliche Wirkung von humanitärer Hilfe(das könnte von Interesse sein). Das methodische Vorgehen erschien uns dabei problematisch, besonders die ethisch Seite der soziologisch motivierten Vorgehensweise, die Kontrollgruppen etc.

    Der Beitrag lässt sich sicherlich in der 3 Sat Mediathek aufrufen.

    Liebe Grüße

    Rosemarie und Jürgen

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    1. Danke für die Rückmeldung. Schön, dass euch die Beiträge gefallen!
      Wenn wir in den nächsten Tagen dazu kommen, gucken wir uns die Sendung an.
      Viele Grüße, Manuel

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