Eine Woche später machen wir uns dann
auf ins 40 km (Luftlinie!) entfernte Painavu. Dort ist der
Verwaltungssitz des Idukki Districts. Für diese Strecke brauchen wir
circa 2,5 Stunden mit dem Bus und Taxi-Jeep. Auf den Straßen bewegt
man sich oft auf Serpentinen von Tal zu Tal. Es ist eine äußerst
spektakuläre Landschaft. Zum einen gibt es riesige Steilhänge,
einen großen Bergsee, aber auch den tiefen Dschungel, wie man ihn
sich in unseren Breiten vorstellt. Es ist eines der wenigen Bilder,
die bei unserem Aufenthalt in Indien bisher „bestätigt“ wurden.
In Painavu angekommen betreten wir ein auf einem Hügel gelegenes
Areal aus Verwaltungsgebäuden und einem großen Krankenhaus.
Nachdem wir uns in eines der Gebäude
begeben, um einen langen Korridor entlang zu schreiten, biegen wir in
eines der Büros ab. Wir überreichen dem Verantwortlichen unsere
Unterlagen, woraufhin er diese sorgfältig überprüft. Einen Fehler
findet er: Als Grund für unseren Aufenthalt haben wir „Studies“
angegeben, was von ihm bemängelt wird, da unser Visum als
„Employment-Visum“ ausgestellt ist. Zum Glück ließ er es uns
vor Ort lösen: Wir konnten den Fehler einfach mit einem Stift
verbessern. Schließlich tackert er unsere Unterlagen zusammen und
schickt uns in ein benachbartes Gebäude, ein Polizeigebäude. Dort
ist ein mit einem Gewehr ausgerüsteter Beamter postiert. Es beginnt
eine lange Wartezeit.
Der Polizeichef, der sich persönlich
um die Police Registration aller Ausländer im Idukki Distrikt,
welche länger als sechs Monate bleiben, kümmert, sei in einem
Meeting und würde uns in einer halben Stunde zur Verfügung stehen.
Wir verbringen die Zeit damit, in einem Taschenbuch über alle
indischen Premierminister zu lesen und uns mit unserem Mentor über
politische Themen auszutauschen. In einem Nebenraum unterhalten sich
und scherzen einige Polizeibeamte miteinander. Eine Stunde später
werden wir in ein benachbartes Büro gebeten, wo sich schließlich
ein anderer Beamter unserer Sache annimmt; der Polizeichef sei nicht
zu gegen. Uns wird mitgeteilt, dass unsere Registrierung etwa ein bis
zwei Wochen bearbeitet wird, wir den Status telefonisch abfragen
werden können und dass wir unser „Certificate“ dann wieder hier
abholen werden können.
Unser Mentor Joseph zusammen mit Florian vor dem Polizeigebäude in Painavu |
Auf dem Rückweg steigen wir in einer Busstation aus unserem Taxi. Wir warten auf den Bus.
Plötzlich gibt es einen gewaltigen Knall hinter mir. Adrenalin strömt in meinen Körper. Ich drehe mich um und sehe einen Bus seitlich auf mich zu schlittern. Ich renne. Nach einigen Metern wage ich einen Blick über die Schultern. Der Bus ist inzwischen zum Stehen gekommen. Die Menschenmenge um mich herum ist wie ich zunächst völlig konsterniert. Ich bemerke einen an seiner Vorderseite demolierten LKW, welcher auf das hintere Ende des Buses geprallt sein muss. Dort verbogenes Metall. Frontscheibe des LKW zerstört. Wo ist der Fahrer? Dutzende Menschen verlassen in Panik den Bus. Sie strömen heraus. Ein Mann humpelt mit vom Schmerz verzogenem Gesicht. Zwei junge Frauen in Schuluniform weinen auf einer Bank und halten sich im Arm. Einige suchen nach Verletzten, auch unter dem Bus, dessen Scheiben auf ganzer Länge zerbrochen sind.
(Flo)
Bei diesem Unfall gab es zum Glück nur
leicht Verletzte, was bei der Wucht, die der LKW gehabt haben muss,
schon fast verwunderlich ist. Die Rückbank des Busses war nicht
besetzt. Wenn Fahrgäste darauf gesessen hätten, wären diese
vermutlich schwerer getroffen worden.
Am nächsten Morgen lesen wir bzw. die
Malayalam-Verstehenden von eben diesem Unfall in der Zeitung. Die
Bremsen des LKWs waren ausgefallen, sodass er ungebremst in den Bus
hineinfuhr. Wir mutmaßen, dass sich die Bremsen bei der langen
Bergabfahrt überhitzt haben. Solche Unfälle sind uns auch aus
Deutschland bekannt. Für jeden von uns war es jedoch das erste Mal,
dass wir einen Unfall so unmittelbar erlebt haben.
Von dem Schock erholt, geht es weiter
nach Kattappana zu einem Regional-Office von VOSARD. Dort wird sich
vor allem um das Childline-Projekt gekümmert. Hier kann 24 Stunden
am Tag angerufen werden, wenn es z. B. Probleme bezüglich
Misshandlung von Kindern gibt. Es wird aber auch Unterstützung für
Straßenkinder oder Kinder, die sich aus anderen Gründen
vernachlässigt fühlen, gegeben. Manchmal kommen innnehalb von
kurzer Zeit viele Anrufe, zu anderen Zeiten klingelt das Telefon
mehrere Stunden gar nicht. Wir bekommen einige Anrufe mit, Allerdings
können wir schlecht verstehen, worum es geht, da alles auf Malayalam
besprochen wird. Unterstützt werden die Kinder durch medizinische
und finanzielle Hilfe. Wenn es zu Misshandlungen kommt, können die
Kinder auch aus der Familie herausgeholt und in Kinderheimen
untergebracht werden, erklärt man uns weiter. Nach einem
obligatorischen Chai machen wir uns auf den Rückweg zum Office.
Ein VOSARD-Mitarbeiter und Manuel laufen die Treppe zum Regional-Office von VOSARD in Kattappana hoch. |
Auf den Serpentinenstrecken fällt uns
erneut die etwas riskante Fahrweise auf, die hier von vielen –
natürlich nicht allen – praktiziert wird. Unser Bus hupt mehrere
Male in jeder Kurve – als eine Art Warnung für die
entgegenkommenden Fahrer, dass er beide Spuren der Straße blockiert.
Die Kommunikation scheint so durchaus zu funktionieren, soweit wir es
bei unseren bisherigen Fahrten erlebt haben. Nach ca. fünf Stunden
Busfahrt, einer Stunde Warten im Police-Office und vielen neuen –
teilweise unerwarteten – Eindrücken, kommen wir wieder beim VOSARD
Office an.
Flo und Manuel
Ich habe eure spannenden Berichte gelesen. Da war unser Urlaub an der Nordsee natürlich fast langweilig. Aber wir haben die 2 Wochen Nichtstun so richtig genossen. Für eure Arbeit in VOSARD alles Gute ! Seid behütet auf den weiteren Busfahrten, die wohl die größten Gefahrenquellen sind, so kommt es mir vor !!!!
AntwortenLöschenAlles Gute, ich hab dich lieb !!!
Mama Anne
Das freut mich sehr! Die Rückmeldung und zu wissen dass du den Blog verfolgst.
LöschenMach dir keine Sorgen um mich :)
Alles Liebe und Gute zurück nach Deutschland! Ich dich auch!
Dein Sohn Flo
München, 29.8.2014
AntwortenLöschenDanke für die vielen interessanten Beiträge. Wir sind erst jetzt, nach fast medienfreien Ferien zum ersten Mal dazu gekommen, Euren Blog zum Freiwilligen Jahr aufmerksam zu lesen.
So viele neue Eindrücke, spannend und sicherlich aufregend, wir wünschen Euch eine gute Zeit und nicht zu scharfes Essen.
Gestern Abend, Do 28.8. 20.15 Uhr haben wir in 3 Sat eine Sendung verfolgt, die zum Inhalt einen für uns neuen Ansatz in der Bewertung von internationalen Hilfsmaßnahme hatte. Versuchslabor Armut Reportage. Eine neue Generation von Entwicklungshelfern untersucht mit wissenschaftliche Methoden die tatsächliche Wirkung von humanitärer Hilfe(das könnte von Interesse sein). Das methodische Vorgehen erschien uns dabei problematisch, besonders die ethisch Seite der soziologisch motivierten Vorgehensweise, die Kontrollgruppen etc.
Der Beitrag lässt sich sicherlich in der 3 Sat Mediathek aufrufen.
Liebe Grüße
Rosemarie und Jürgen
Danke für die Rückmeldung. Schön, dass euch die Beiträge gefallen!
LöschenWenn wir in den nächsten Tagen dazu kommen, gucken wir uns die Sendung an.
Viele Grüße, Manuel